Pädagogik LK besucht „Antigone“

Mit dem Pädagogik LK der Q1 in Theben –  „Antigone“ Im Horizont Theater 

Ein Bericht von Anny Papaphilippu 

Eine Holzrampe, drei Metallelemente, von der Decke herabhängend an groben Stricken, drei Eisenstäbe und eine Schubkarre – man könnte meinen, wir wären auf einer Baustelle gelandet, doch dann geht das Licht aus und… wir sind im antiken Theben! 

Und damit mitten in einer doch recht prekären Situation: Die beiden Söhne des unglücklichen Ödipus, Eteokles und Polyneikes, haben sich im Kampf um die Stadt gegenseitig umgebracht, doch während Eteokles ruhmreich bestattet wird, verweigert Kreon, der Herrscher über Theben, dem „Landesverräter“ Polyneikes ein würdiges Begräbnis – schlimmer noch: Es ist bei Todesstrafe verboten, Polyneikes zu bestatten –  welch ein Verbot, denn nach göttlichem Gebot müsste eigentlich jeder eine würdige Bestattung erhalten. Viel Zündstoff also, vor allem für die Schwester des Eteokles, die tugendhafte Antigone, für die das Verbot des starrsinnigen Onkels nicht mit ihrem Gewissen zu vereinbaren ist und mit Gerechtigkeit erst recht nicht! 

 

Und dafür hat Antigone gute Gründe: wie kann es sein, dass ein staatliches – also menschengemachtes –  Verbot mächtiger sein sollte als der Willen der Götter und damit zugleich bindender als die moralische Entscheidung des Individuums? Denn das möchte Antigone sein – selbstbestimmtes, ethisch und moralisch autonom handelndes Subjekt, nicht willenlose Sklavin irdischer Gesetze. 

Und dafür ist sie sogar bereit, zu sterben. Verzweifelt versucht ihre Schwester Ismene, Antigone zur Vernunft zu bringen. Doch vergebens…hier geht es nämlich um´s Eingemachte, um die zeitlose Frage, ob man unter bestimmten Umständen ethische Prinzipien über geltende Gesetze stellen sollte, ja müsste, wenn man sonst gegen sein Gewissen handeln würde? 

Eine Frage, die uns auch mehr als 2000 Jahre nach der Uraufführung der Antigone beschäftigt, denn sie geht uns alle an. Wie steht es denn um unsere ethischen Prinzipien? Und würden wir diese im Ernstfall auch gegen staatlichen Widerstand verteidigen? Würden wir Gesetze und Konventionen brechen und die Konsequenzen dafür tragen, um uns selbst treu zu bleiben? Und dann sind ja moralisch denken und aktiv moralisch handeln auch immer noch zweierlei…. Fragen, die wir uns nicht nur im Rahmen des Pädagogikunterrichts stellen, sondern die aktuell und zeitlos sind, da sie auch die kritische Reflexion des eigenen Wertekanons beinhalten. 

Und so sehen wir mit banger Sorge, wie sich die Situation in Theben zuspitzt: Antigone bestattet –  ihrer moralischen Haltung folgend – den Bruder und muss dafür büßen. Kreon ist nicht umzustimmen: Nicht durch die Argumente des mit Antigone verlobten Sohnes, ja nicht einmal durch die düstere Prophezeiung des weisen Sehers Teiresias, der Kreons Bestattungsverbot explizit als Frevel bezeichnet und ihm ankündigt, er werde den Tod der Antigone mit einem weiteren Tode bezahlen. 

Und so kommt, was kommen muss: Zu spät erkennt Kreon seine Fehlentscheidung, zu spät will er die inzwischen lebendig eingemauerte Antigone befreien – unvermeidbar die Katastrophe: Antigone und ihr Verlobter Haimon haben längst Selbstmord begangen; ebenso des Kreons Frau, verzweifelt über den Verlust des Sohnes. Am Ende sind –  wie in der Tragödie üblich – alle tot und Kreon bleibt allein zurück, wahnsinnig vor Verzweiflung –  und wir mit ihm, berührt von den Abgründen des Emotionssprektrums, dessen Zeugen wir wurden. 

Was Christos Nicopoulos da mit einfachsten Mitteln auf die Bühne bringt, ist stark. Die Reduziertheit des Bühnenbilds wirkt im Kontext des thebanischen settings nahezu archaisch, die Form stützt den Inhalt: Es geht um die essentials, um Ethik, Moral und Werte – und die kommen ganz ohne Tam Tam oder special effects aus. 

Drei Schauspieler, die nach antiker Tradition auch die Frauenrollen spielen, – mehr braucht es nicht, um des Sophokleś Stück lebendig werden zu lassen und uns nach Theben zu beamen. Beeindruckend, wie das Stück so ganz ohne großes Bohei an die Radix geht, bewegend ist, erschreckend, verstörend und echt. Weniger ist mehr –  der Fokus liegt auf dem wirklich Wichtigen: auf den Folgen menschlicher Verblendung und auf Antigone als Reflexionsfolie, die uns modellhaft daran erinnert, dass es Mut und Entschlossenheit kostet, um für seine Überzeugungen einzustehen – und in ihrem Fall – das Leben. 

Solche Modelle sind wichtig, richten sie doch wie in einem Brennglas einen kritischen Blick auch auf die eigene Haltung und regen Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken darüber an, was für sie Leitfaden und Richtschnur sein kann, auch wenn es im Alltag zum Glück nicht immer so dramatisch wie in der Tragödie zugeht. 

Umso wichtiger erscheint es da, jeden Tag eine reflektierte Perspektive einzunehmen, sich zu bedeutenden Themen aktiv zu verhalten und Werte, wie Moral und Anstand, vom abstrakten Podest herunterzuholen und im Hier und Jetzt lebbar zu machen. Auch dafür kann Antigone uns Modell sein. 

So sind unsere Schülerinnen und Schüler tief beeindruckt und begeistert von der Leistung der Schauspieler und dem Sog, den das Stück schon nach kurzer Zeit entfaltet. 

„Waren das jetzt wirklich schon 100 Minuten?“ fragen sie sich, da keine/r so recht glauben kann, wie schnell die Zeit verfliegt, wenn einen die Handlung so mitreißt. Und es fällt uns allen schon ein wenig schwer, wieder in die Realität zurückzufinden, als wir den Heimweg antreten… 

Und die Moral von der Geschicht´? Wieder einmal durften wir im HORIZONT Theater ein eindringliches Stück Schauspielkunst erleben, für das wir dankbar sind, da es wahrhaftig nachwirkt, weil es menschliche Leidenschaften –  also das, was uns umtreibt – behandelt. Und nicht zuletzt auch daran erinnert, dass es neben Netflix Serien und digitalen devices doch auch noch die Begegnung mit echten Menschen gibt –  auf einer Holzrampe vor den Toren Thebens. 

Wir danken daher dem Team des Horizont Theaters für eine tolle und zeitlose Inszenierung und dem Intendanten Christos Nicopoulos für seine interessante und ergiebige Einführung vor der Vorstellung!  

Zudem danken wir erneut dem Förderverein der Heinrich – Böll – Gesamtschule für die wiederholte freundliche Unterstützung – schön, dass Ihr uns das ermöglicht; es ist etwas, das bleibt!