Gesten der Liebe in Zeiten des Krieges – Mit HBG Studiert im Kölner EL – DE Haus

Ein Bericht von Anny Papaphilippu 

Ein imposantes Gebäude, zentral am Appellhofplatz und damit im Herzen Kölns gelegen, mit den etwas kryptisch anmutenden Lettern „EL DE“ über der gläsernen, noch im Original erhaltenen Eingangstür ist heute das Ziel einer kleinen Gruppe von Schülerinnen und Schülern unseres HBG Studiert Projektes zur Begabtenförderung. 

Die Schülerinnen und Schüler haben sich über die letzten Monate hinweg im Rahmen unserer Sitzungen intensiv kritisch mit der Erziehung zur Zeit des Nationalsozialismus und der NS – Gebrauchspädagogik auseinandergesetzt, die damals intendierte Formung zum sog. NS – Typus in der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel reflektiert, von der Indoktrination bzw. Ideologisierung der Schulen im NS erfahren, sich aber auch am Beispiel der Geschwister Scholl und der Weißen Rose mit dem Thema Widerstand beschäftigt und Einzelschicksale von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kennengelernt, die die NS – Zeit, unter falscher Identität in Berlin lebend, überstanden haben. 

Heute nun soll es auch um die Rolle Kölns zur Zeit des NS gehen und wir wissen vorab: dies wird keine „normale“ Exkursion und auch kein so ganz einfacher Gang, denn unser Ziel, das in den Jahren 1934/35 von dem Gold – und Uhrenhändler Leopold Dahmen in neoklassizistischem Stil errichtete EL-DE Haus, das eigentlich als Wohn – und Geschäftshaus geplant gewesen war, wurde 1935 von der Gestapo okkupiert und zu deren neuem Hauptquartier umgebaut: mit Büroräumen in den oberen Stockwerken und zehn Gefängniszellen im Kellergeschoss.  

Gerade wegen der zentralen Lage war Dahmens Gebäude für die Nationalsozialisten überaus attraktiv und so hielt am 1. Dezember 1935 auch offiziell und behördentechnisch Hitlers Machtmachinerie Einzug in Köln – der Beginn von zehn langen Jahren, in denen sich im EL – DE Haus, benannt nach den Initialen des Besitzers Leopold Dahmen (L.D.: sprich „EL DE)“, zahlreiche menschliche Schicksale auf tragische Weise entscheiden sollten – diente das EL – DE Haus doch u.a. als bürokratischer Nucleus der Gestapo, als  Verhörstelle, Folterkammer und dessen Innenhof auch als Ort für Exekutionen – das Grauen eingebettet in das damalige Kölner Tagesgeschäft, welches sich in den angrenzenden Wohnhäusern unbehelligt weiter abspielte – eine mehr als perverse Vorstellung, die auch die Schülerinnen und Schüler bedrückt, je tiefer wir in die labyrinthischen Zimmerfluchten des Gebäudes eintauchen. 

Vor allem im Keller – in den klaustrophobisch anmutenden Gefängniszellen – werden sie für uns greifbar, die Schicksale dieser Menschen – der Regimegegner oder mutigen Widerständler – die sich gegen den NS – Staat und dessen Prinzipien auflehnten, den „Mut zum Nicht -Mitmachen“ hatten und dafür nicht selten mit dem Leben bezahlten und in der Enge und Apathie der Zellen auf Verhör, Folter oder Tod warteten oder andere Willkürakte zu erwarten hatten, zurückgeworfen auf sich selbst und sich festhaltend an die Hoffnung und die Erinnerung an geliebte Menschen – wie die eigene Mutter. 

Die Gefängniswände selbst werden zu Zeugen der Schicksale der damals Inhaftierten, welche Eckdaten, Reflexionen, Wendepunkte ihrer Biographien in zahlreichen Sprachen dort verewigt haben – 1800 Inschriften sind insgesamt verzeichnet. 

„Wenn keiner an dich denkt, deine Mutter denkt an dich“ – so lautet beispielsweise die Inschrift, die der damals 16 jährige Hans Weinsheimer 1944 auf eine der Zellenwände schrieb – bewegendes Zeugnis eines Jugendlichen, der 1944 für ca vier bis sechs Wochen im EL- DE Haus inhaftiert war, da er regimegefährdende Flugblätter verteilt haben sollte.  

Wer war dieser Hans Weinsheimer? Doch auch ein Jugendlicher wie unsere Schülerinnen und Schüler. 1928 hineingeboren in eine kommunistisch orientierte Familie und den beginnenden Nationalsozialismus. Sein Vater war in Köln Poll in einer kommunistischen Widerstandsgruppe aktiv und verbreitetet anti- nationalsozialistische Flugblätter, wobei ihm Hans half, meist sehr geschickt während Bombenalarmen; zudem pflegte der Teenager Kontakte zu den Edelweißpiraten und besuchte – freilich nur zur Tarnung – die Hitlerjugend. Hans wurde aus Verdachtsgründen 1944 verhaftet und inhaftiert; wenngleich man keine Flugblätter bei ihm fand, wurde er zunächst im EL- DE Haus eingesperrt, wovon seine Inschrift lebendiges Zeugnis ablegt. 

Was denkt und fühlt ein solcher Jugendlicher? – diese Frage beschäftigt die Schülerinnen und Schüler  sehr. Nicht zu wissen, was mit dir geschehen wird, ob du deine Familie noch einmal wirst wiedersehen können und ob es überhaupt noch eine Zukunft geben kann – wir können nur sehr vage erahnen, in welcher Ausweglosigkeit und Verzweiflung Hans´ Inschrift geschrieben wurde. Und dennoch ist da auch die Hoffnung in Gestalt der Mutter, die regelmäßig zu Hans´ Gestapo – Gefängnis kam. 

Er selbst schreibt darüber:  

Meine Mutter kam immer jeden Abend, so zwischen neun und zehn Uhr. Da klopfte sie an das Fenster – die wusste genau, wo ich saß. Und da sagten die anderen schon: ›Da Hans, deine Mutter ist da.‹ Man konnte durch das Fenster miteinander sprechen. Es waren ja zwei Fenster und an dem vorderen Fenster war an der Seite ein Loch drin. Manchmal gab meine Mutter auch Butterbrote ab. Das dauerte dann so zehn Minuten bis zur Viertelstunde, dann wurde die Tür aufgemacht. – ›Weinsheimer!‹ – ›Ja.‹ – ›Ihre Mutter war da, die hat Ihnen ein paar Butterbrote gebracht.‹ Dann kriegte ich die.« 

Hans Weinsheimer hat überlebt. Er wurde in das Zuchthaus Butzbach überführt und verblieb dort bis zum Einmarsch der Alliierten, war insgesamt über ein Jahr in Haft. 

Und er ist „nur“ eines unter vielen Einzelschicksalen, die durch das EL-DE Haus für immer geprägt wurden: da gibt es die Vita des im Alter von 16 Jahren zur Zwangsarbeit verschleppten Askold Kurow, dem durch den Heizungskeller und ein offen stehendes Fenster auf abenteuerliche Weise die Flucht aus dem EL-DE Haus gelang.  

Da gibt es Marinette, die als Hausmädchen bei einer deutschen anti – nationalsozialistischen Familie arbeitete und mit dieser – im achten Monat schwanger – als Regimegegnerin verhaftet wurde, in Haft ihre Tochter Christiane zur Welt brachte, zwar überlebte und nach Frankreich zog, aber mit ihren Kindern nie über ihre Vergangenheit sprechen konnte, bis diese durch Zufall über Zeitungsartikel für eine Dokumentation von Marinettes Inschriften im Keller des EL-DE Hauses und damit von dem Schicksal ihrer Mutter erfuhren. 

Und da ist „Mucki“, die eigentlich Gertrud Kühlem heißt, deren Vater in Auschwitz ermordet wurde, die bereits als Schülerin Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe und mehrfach im EL-DE Haus inhaftiert war, wiederholt brutal gefoltert, aber nie gebrochen werden konnte und überlebte, da die Indizien gegen sie letztlich wohl zu schwach waren. Und die die Absurdität erfahren musste, dass sie später, in den 50 er Jahren, ihre standesamtliche Trauung im zum Standesamt umfunktionierten EL-DE Haus begehen sollte.  

Ja, der angemessene, differenzierte und behutsame Umgang mit diesem Gebäude und dessen Transformation zu historischem Museum und Gedenkstätte vollzog sich erst recht spät, beispielsweise bezüglich der oberen einstigen Büroräume sogar erst in den 90er Jahren. 

Doch zurück zu Hans: Jugend in Zeiten von Krieg und Verfolgung büßt die ihr eigene Leichtigkeit, Freiheit und Unbefangenheit ein – auch das erahnen wir während unseres Besuchs im EL-DE Haus, konfrontiert mit den Inschriften der damals inhaftierten, jungen Menschen; uns wird aber auch klar, dass diese Erkenntnis uns Frieden und die eigene Unversehrtheit umso mehr wertschätzen lässt. 

Und uns eine tiefere Empathie empfinden lässt für all die Kinder und Jugendlichen, die eben jetzt im Krieg ein ebensolches Grauen erleben müssen. 

Und dennoch – und das soll mitnichten eine Relativierung sein – verlassen wir das EL-DE Haus an diesem Tag nicht nur mit Beklommenheit und dem – zweifellos kostbaren – Wissen um die Vergangenheit, das unser Bewusstsein für die Gegenwart schärfen wird, sondern vor allem auch mit dem Gedanken an Hans Weinsheimer und die von seiner Mutter mitgebrachten Butterbrote – eine kleine, aber wie unsagbar machtvolle Geste der Liebe gegen Verzweiflung und Angst. 

Schülerstimmen zu unserer Exkursion: 

„Der Ausflug in das EL-DE Haus war sehr interessant, und wenn man darüber nachdenkt, auch traurig. In den Zellen hat man auch viele Inschriften Gefangener gesehen und zu manchen auch Geschichten über die Personen, die die Inschriften geschrieben haben, erfahren. In den oberen Stockwerken sind auch viele interessante Geschichten der NS Zeit und zur Hitlerjugend vermittelt worden. Insgesamt fand ich den Besuch sehr gut und empfehlenswert.“ (Aurelia) 

 „Informativ und auch ziemlich interessant, jedoch auch etwas bedrückend, gerade im Keller.“  

(Sara Maria) 

 „Ich nehme vom heutigen Tag mit, dass Freiheit und Demokratie wichtig für unsere heutige Gesellschaft sind. Durch Unterdrückung, Gewalt und Folter wurde noch kein Frieden je geschaffen. 

Das EL-DE Haus zeigt uns, wie ungerecht und gewalttätig mit Menschen umgegangen werden kann. Die Menschen (Insassen) haben jedoch ihre Gefühle, Gedanken und Meinungen hier verewigt. 

Vieles wurde uns sehr nahegebracht. Die Inschriften zeigen, dass die Menschen in ihrer Ratlosigkeit und den Tod vor Augen viele verschiedene Dinge geäußert haben – Liebe, Angst, Gefühle, Meinungen oder Gedanken. 

Zitat aus Zelle 1: „Wenn keiner an dich denkt, deine Mutter denkt an dich“ – Hans Weinsheimer“ 

(Mathieu) 

Die Fotos zeigen die Zellen im Kellergewölbe des EL-DE Hauses, einige Inschriften in den Gefängniszellen sowie auf den didaktisch aufbereiteten Tafeln – darunter vor allem auch kurze, Hoffnung erweckende Sentenzen, deren Prägnanz angesichts ihrer Entstehungssituation schockierend und tief berührend zugleich ist, sowie unsere ( an diesem Tag leider etwas reduzierte) HBG Studiert Gruppe.