„Wieder wider das Vergessen“ – die Zeitzeugin Irene Seiwert (96) erneut zu Gast an der Heinrich -Böll- Gesamtschule
Ein Bericht von Anny Papaphilippu
Sie ist mittlerweile schon fast zu einer Art festen „Institution“ geworden und doch ist jeder Besuch immer anders, auf neue Weise bewegend, anrührend und sensibilisierend, birgt neue Facetten ihrer Lebensgeschichte und damit auch neue Impulse für uns – auch wenn der Impetus derselbe bleibt: sich wider das Vergessen einzusetzen und dadurch unsere Schülerinnen und Schüler aufzuklären und wach zu machen.
Die Rede ist von Irene Seiwert (96), beheimatet im Kölner Agnesviertel, gebürtig aus Prüm in der Eifel stammend, einer resoluten und selbstbewussten Frau, die unsere Schule schon mehrfach besucht hat – in ihrer Funktion, nein, gemäß ihrem Vermächtnis als Zeitzeugin.
Einem Vermächtnis, das bleibt, sich vielmehr sogar stetig erneuert, vor allem angesichts des Krieges in der Ukraine und ohnehin niemals an Gültigkeit verlieren kann, ganz im Gegenteil., ist es doch auch das Vermächtnis Theodors W. Adornos an alle künftigen Generationen, denn „ die Forderung, dass Auschwitz kein zweites Mal sei, ist die allererste an Erziehung.“
Eine Forderung, die explizit auch beinhaltet, Mitmenschlichkeit, Wärme und Empathie anzubahnen.
„Ich kann nachempfinden und euch versuchen, zu verdeutlichen, was Jugendliche in der Ukraine gerade miterleben müssen, denn ich habe es selbst erlebt, als der II. Weltkrieg in Köln herrschte.“
So spricht Frau Seiwert im Rahmen unsers jährlichen Anti – Rassismus – Tages dieses Mal zum Leistungskurs Pädagogik und weiteren SchülerInnen aus der Oberstufe. Und allen wird klar, dass sich ein Gespräch anbahnen wird, dessen Aktualitätsgehalt höher denn je ist und das so gar nichts von der Abstraktion so mancher Kriegsberichte hat, sondern authentisch, unmittelbar und greifbar Dinge beim Namen nennt und vor Augen führt, wie es eben nur Zeitzeugengespräche vermögen: ungekünstelt, direkt, brutal, bewegend, mitreißend, sicher auch subjektiv, aber gerade deshalb auch schonungslos ehrlich und emotional. Und wahrhaftig.
Diese Wahrhaftigkeit ist das, was Schule braucht, wenn es darum geht, dem Postulat Adornos Erziehung nach Auschwitz nachzukommen und dementsprechend durch Erziehung „ein Weniges auszurichten“ gegen faschistoide Tendenzen und unsere SchülerInnen zu kritikfähigen, mündigen und vor allem empathischen und warmherzigen Menschen zu bilden.
Und so folgen die SchülerInnen auch dieses Mal Frau Seiwert von Prüm aus in das vom aufkeimenden Nationalsozialismus geprägte Köln, in die Kinderlandverschickung nach Schleswig – Holstein, durch die Kriegswirren, Zerstörung und Todesangst zurück in das nunmehr zerbombte Köln und schaffen es vielleicht annähernd, sich ein Bild einer Jugend in Kriegszeiten zu machen und ein Gespür dafür zu entwickeln, was zeitgleich Gleichaltrige in der Ukraine durchleben müssen – Heranwachsende wie sie selbst, unterwegs auf Instagram und Tik Tok, die Netflix – Serien schauen, Träume und Zukunftspläne haben.
Ganz normale Teenager, denen der Krieg auf furchtbare Weise „dazwischen gekommen“ ist -zwischen erste Liebe, den Schulabschluss, Zukunftsperspektiven und den ganz profanen Alltag.
Am Ende bleiben wir beklommen und sehr nachdenklich zurück. Und hoffentlich dankbar. Dankbar für den Frieden, in dem wir hier an der HBG leben und lernen dürfen, dankbar für die Perspektiven, die sich uns eröffnen, dankbar für die eigene Unversehrtheit und die unserer Familien – so die Rückmeldung zumindest der anwesenden Schülerinnen und Schüler, gebeten um die Schilderung ihrer Eindrücke nach der Veranstaltung.
Die SchülerInnenbeiträge dokumentieren, dass es geglückt ist und wir auch dieses Mal „ein Weniges“ haben ausrichten können. Auch dafür sind wir dankbar.
Wir danken Irene Seiwert erneut für eine Begegnung mit der Vergangenheit, die unser Bewusstsein für die Gegenwart hoffentlich langfristig schärfen wird.
Zudem danken wir dem Förderverein der Heinrich -Böll -Gesamtschule für die freundliche Unterstützung des Zeitzeugenprojekts.