Von der Weite in der Enge eines Bühnenraums…

Mit der Q2 im Horizont Theater.
Ein Bericht von Anny Papaphilippu
 

Von außen sieht es recht unscheinbar aus, fast schon ein wenig heruntergekommen, zumal derzeit von einem Baugerüst fast komplett überdeckt. Doch der Schein trügt, denn im Inneren eröffnet sich uns eine ganz andere, eine facettenreiche, eine magische Welt: die Rede ist vom Horizont Theater in der Nähe des Ebertplatzes, einem kleinen Theater, das sich – man kann es sich selbst kaum vorstellen, wie – über die Öde der Corona Pandemie hinweg tapfer und trotzig behauptet hat – bis heute und mit viel Liebe, Engagement und Herzblut vor allem durch die Inszenierung der aktuellen Schullektüren unseren Schüler*innen auch an diesem nasskalten Dezemberabend die Tore in eine andere Dimension eröffnet – dieses Mal direkt durch die Portale der Nervenheilanstalt hindurch, in der sich Dürrenmatts drei Physiker Möbius, Beutler und Ernesti befinden.

Um was geht ́s? Klar, spätestens im Zuge des Deutschunterrichts hat man erfahren, dass es um die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft für eine Menschheit geht, die ggf. große Erfindungen und wissenschaftlichen Fortschritt nicht unbedingt ethisch verantwortlich nutzen, sondern aus Profitgier vielmehr zum Nachteil, ja zur Vernichtung aller einsetzen könnte – die Atombombe in den Händen von Idioten, um es einmal platt zu formulieren, stellt eine Gefahr für uns alle dar, so ruhmreich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zu ihrer Konstruktion führen, auch sein mögen; letztendlich sind es Verantwortungsbewusstsein und Moral, die walten müssen, um Chancen und Risiken der Wissenschaft abzuwägen – das weiß auch der scheinbar verrückte Physiker Möbius, der daher seine Aufzeichnungen vernichtet, sich von Frau und Kindern getrennt und seine Geliebte, die Krankenschwester Monika, ermordet hat – bereit, sein Leben dauerhaft in der Abgeschiedenheit der Klinik zu fristen, um nur ja zu verhindern, dass seine Erkenntnisse auf dem Gebiet der Atomphysik ihre dämonische Seite entfalten. Alles zum Schutze der Menschheit also.

Doch wie es bei Dürrenmatt eben usus ist, spielt hier der Zufall in groteskem Gewand dazwischen und offenbart seine paradoxe Wirkmacht: die Mitpatienten entpuppen sich als Spione weltlicher Mächte, abgestellt, um Möbius für ihre kommerziellen Zwecke zu gewinnen und – im show down noch skurriler – die Klinikleitung Dr. von Zahnd demaskiert als wahre Verrückte, die die Weltherrschaft an sich reißen und zu diesem Zwecke des Möbius Forschungsergebnisse bereits kopiert hat. So kennen wir Dürrenmatt, aber was bleibt für uns?

Zum einen die Begeisterung und der Respekt für ein tolles Ensemble, das mit einfachen Mitteln, unprätentiös, authentisch und ganz nah am Zuschauer dem hochaktuellen Stück in der Enge des „Kellergewölbes“ des Theaters Leben einhaucht und uns für 80 Minuten doch ein wenig das Dunkel von Krieg, Energiedebakel, Corona und Klimakrise vergessen lässt, zum anderen aber eben genau an das gemahnt, das nötig ist, um mit den Imponderabilien des Lebens einigermaßen umgehen zu können: an die Verantwortung und moralische Ausrichtung eines jeden einzelnen.

Und deshalb geht uns im Schlussapplaus auf, dass es immer um ́s Menschliche geht, welches es zu bewahren gilt: die Verantwortung für und die Haltung gegenüber den anderen, die sich auch und gerade im Kleinen zeigen, z.B. im herzlich formulierten Dank unserer Schüler*innen an eine der Hauptdarstellerinnen, die uns im Foyer noch entgegenkommt oder in der Begegnung mit dem Intendanten des Theaters, Christos Nicopoulos, der uns vor der Vorstellung erklärt, dass es angesichts der allgegenwärtigen Krise gerade das Theater, ja die Kunst braucht, um Kindern und Jugendlichen wirkliche Werte zu vermitteln – oder zumindest einmal zum Nachdenken darüber anzuregen. Recht hat er.

Vor Krisen, grotesken Zufällen und unvorhersehbaren, z.T. schrecklichen Wendungen, wie sie Dürrenmatt nicht besser hätte erfinden können, können wir uns nicht retten – das wissen wir ja spätestens seit Corona und noch eher seit dem 24. Februar dieses Jahres.
Die Frage ist, wie man sich selbst reflektiert und menschlich dazu verhält. Auch dazu haben wir an diesem Abend einen erneuten Impuls erhalten und unseren Horizont in den Grenzen eines kleinen Theaterraums doch erweitert – der Name ist wahrhaftig Programm, danke, Horizont Theater.

Wir möchten an dieser Stelle aktiv dazu aufrufen, das Horizont Theater, dem es finanziell sehr schlecht geht, zu besuchen. Es ist bewundernswert, dass sich Intendant, Ensemble und alle Mitarbeiter*innen dennoch bemühen, den anspruchsvollen Spielplan aufrechtzuerhalten. Uns hat es sehr berührt, zu sehen, mit welcher Unverdrossenheit, Freude und Zuversicht dort gearbeitet wird.

Wir danken erneut sehr herzlich dem Förderverein der Heinrich – Böll – Gesamtschule für die Unterstützung. Danke für das, was ihr unseren Schüler*innen ermöglicht! Es ist substantiell so viel mehr als nur ein Theaterabend.