Michelle Leuchten an der Heinrich-Böll-Gesamtschule

(ein Bericht von Louis Kreit, Q1)

Jedes Leben beinhaltet viele Hoch- und Tiefpunkte. Während die einen vielleicht eher Höhen erreichen, oder zumindest ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Hoch- und Tiefpunkten erleben, gibt es aber auch Menschen, deren Leben zum größten Teil von Tiefpunkten geprägt ist. Aber wie verhält man sich, wenn man ständig von Depression, Antriebslosigkeit, Mobbing, Geldmangel und Ängsten bedroht wird? Ist es noch möglich, aus so einer Lage herauszukommen? – Die für die Deutsche Bahn arbeitende Elektronikerin Michelle Leuchten (29) hat genau diese genannten hochproblematischen Aspekte in ihrer Jugend durchlebt.

Und aus diesem Anlass besuchte Michelle Leuchten den Pädagogikkurs der Q1 von Frau Papaphilippu an der Heinrich-Böll-Gesamtschule am 7. April 2022 und berichtete zum ersten Mal ihre berührende Geschichte vor einem – zwar kleinen, aber sehr interessierten – Publikum.

In der Bibliothek unserer Schule erzählte die junge Frau von ihren belastenden Erfahrungen mit massivem Mobbing in der weiterführenden Schule, wobei sie von den MitschülerInnen kaum Empathie erlebte, eine Erfahrung, die sie sehr lange Zeit stark bedrückte.

Größere Unterstützung aus ihrem sozialen Umfeld in damaliger Zeit hätte sich Michelle gewünscht.

Neben Bezugspersonen wie Lehrerinnen und Lehrern gibt es jedoch weitere wichtige Bezugspersonen im Leben eines Jugendlichen. Die meisten würden sich in einem solchen Fall an die Eltern, Geschwister oder Freunde wenden. Dieses Privileg hatte Michelle jedoch nicht. Neben dem Mobbing in der Schule und den immer schlechter werdenden Noten fand sie auch zu Hause keinen Zufluchtsort. Schon im Alter von 17 Jahren zog Michelle daher aus ihrem Elternhaus aus. Die Eltern zeigten kaum Fürsorge für sie, so dass ihr Weg sie für eine gewisse Zeit zu einer Freundin, danach zu ihrer Schwester führte, schließlich dann beinahe auch auf die Straße geführt hätte, wenn sie nicht durch die Hilfe öffentlicher Träger eine Wohnung erhalten hätte, womit natürlich auch nicht alle Probleme gelöst waren…und der Weg in Beruf und Selbstbestimmung noch ein weiter war.

Das war damals. Heute aber ist Michelle eine junge, selbstbewusste und dynamische Person – und das hat sie aus eigener Kraft erreicht.

Michelle arbeitet heute als Auszubildende zur Elektronikerin für Betriebstechnik bei der Deutschen Bahn. Michelles Ausbildung ist vielseitig und umfasst beispielsweise ein Spektrum von einfacher Hauselektronik und Feinelektronik (z.B. Löten von Schaltungen, wie Lampen- oder Steuerschaltungen) bis hin zum Erstellen von Schaltungen und Plänen (z.B. für Rolltore, Lüftungsanlagen usw.) – eine sehr vielseitige Ausbildung, die im Elektronikbereich viele Türen öffnet und zahlreiche Aufstiegsmöglichkeiten beinhaltet. Leider muss man sagen, dass dieser Beruf immer noch als untypisch für Frauen gilt. In der heutigen Gesellschaft ist das Handwerk in jeglichen Bereichen eher männlich konnotiert. Umso erstaunlicher ist es, dass Michelle eine derjenigen ist, die diese Wand, erbaut auf der Grundlage von Stereotypen und Vorurteilen, zu gewissen Teilen durchbricht und über ihren Tellerrand hinausschaut. Was mich jedoch persönlich erstaunt, ist der Kontrast zu früher bzw. die enorme positive Entwicklung von Michelle. In ihrer Jugend wäre für sie der Eintritt in einen klischeehaft als

Männerdomäne geltenden Beruf vermutlich ein weiterer hemmender Faktor gewesen. Heute jedoch geht sie mutig und zuversichtlich ihren Weg.

Bei dieser berührenden Geschichte geht es viel um Themen wie Identität, Individuation Sozialisation und Erziehung, mit welchen wir uns auch im Pädagogikunterricht befassen. So lernen wir im Unterricht, inwieweit diese Themen unser eigenes Leben beeinflussen können, und welche unterschiedlichen Lebensverläufe es geben kann.

In Michelle Leuchtens Fall war es vor allem die mangelnde Fürsorge und Verantwortung, ja fehlende Erziehung, die ihre Jugend bedeutend prägte.

Aber entscheidet allein die Erziehung über das komplette Leben eines Menschen?

Nein. Heute ist Michelle glücklich mit einem Mann verheiratet, der laut ihrer Aussage ein sehr großer Faktor dafür war, dass sie es aus diesem Kreislauf, bestimmt von Ängsten und Verzweiflung, herausgeschafft hat. Michelle Leuchten ist das beste Beispiel dafür, dass man es immer aus Tiefpunkten herausschaffen kann, wenn man an sich glaubt und Hilfe annimmt. Es ist völlig egal, was vorher passiert ist oder was später passieren wird. Der Fokus sollte auf dem Hier und Jetzt liegen.

Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir aus dieser Veranstaltung viel mitgenommen haben. Einerseits wissen wir, dass Tiefpunkte im Leben „normal“ sind. Sie tauchen verteilt im Leben auf und sind meist unvermeidbar. Andererseits haben wir nun Dank Michelle eine authentische und deutlich breitgefächertere Perspektive auf das Leben gewonnen und wissen, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen können.

Das Wichtigste für mich und wahrscheinlich für die anderen Teilnehmer ist die Erkenntnis, dass unsere Vergangenheit unser späteres Leben nicht definieren muss und es immer möglich ist, über seinen Horizont hinauszuwachsen.

Rückmeldung von Louis zu Michelles Besuch:

Ich fand die heutige Stunde hat insgesamt gut geklappt. Die Momente, in denen anfangs keiner geredet hat, waren zwar zugegeben zunächst etwas „unangenehm“, aber ich finde, es hat uns auch teils vertrauter mit der Gesamtsituation und deiner Person gemacht. Das wurde zwar schon ein paar Mal erwähnt, trotzdem will ich hier noch sagen, dass anhand deiner erzählten Lebensgeschichte und deiner jetzigen Lebenssituation du dich zu einer echt starken Person entwickelt hast. Die Kraft und den Mut hervorzubringen und darüber zu reden, hat definitiv nicht jeder und macht dich demnach sehr besonders. Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir dir gegenüber großen Respekt haben.

Danke für deinen Besuch und weiterhin viel Glück!

Feedback an Michelle von Celine:

Du bist eine sehr tolle Person! An sich bin ich sehr dankbar dafür, dass Michelle uns heute besucht hat. Die schwere Vergangenheit nochmal aufzurufen und „Fremden“ davon zu berichten/erzählen, zeigt wie stark sie ist. Wir können sagen, dass wir sehr großen Respekt vor ihr haben. Das stimmt, wir haben sehr großen Respekt vor ihr, aber ich würde sie nicht nur auf ihre Vergangenheit „reduzieren/begrenzen“, und welchen Einfluss diese Vergangenheit auf ihr heutiges Ich hat (es war ein großer Baustein in ihrem Leben und ich mag das auch gar nicht runter reden), sondern viel mehr Michelle als Ganzes, als Mensch mit all ihren Verrücktheiten und Vorlieben etc, wertschätzen. Sie ist nicht nur ihre Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Sie ist genauso Mensch wie wir, sie hat ihre heutige, einzigartige Persönlichkeit und ich finde sie als Mensch einfach nur toll (auch wenn ich sie erst seit ein paar Stunden kenne). Ich konnte mich an einigen Stellen einigermaßen in ihre damalige Lage versetzen, weil es Parallelen gab. Daher sehe ich Sie als eine Art Vorbild. Außerdem bin ich wirklich froh darüber, sie kennengelernt zu haben. Die Begegnung hat mir wirklich viel bedeutet. Ich wünsche Michelle von ganzem Herzen alles Tolle für den Rest ihres Lebens.

PS: Ich liebe deine Tattoos und Aussehen sowie dein Auftreten, Michelle!