„Die Forderung, dass Auschwitz kein zweites Mal sei, ist die allererste an Erziehung.“ So lautet Theodor W. Adornos Postulat an die späteren Generationen von Erzieherinnen und Erziehern und zugleich ist es die Quintessenz seiner Erziehung nach Auschwitz, des positiven, weil identitätsstabilisierenden, Gegenkonzepts zur Erziehung im Nationalsozialismus. War die Erziehung zur Zeit des NS geprägt von der sogenannten Gebrauchspädagogik, von Entindividualisierung, Funktionalisierung und dem Primat der Politik, so fordert Adornos Konzept die Anbahnung und Förderung von Empathie, Individualität, Kritikfähigkeit, Mündigkeit und Autonomie, die Unterstützung selbstständig moralisch denkender, urteilender und handelnder Menschen.
Dies ist auch das Kernziel unserer pädagogischen Arbeit hier an der Heinrich-Böll-Gesamtschule.
In unserem HBG Studiert –Projekt zur kritischen Reflexion der Erziehung im NS haben wir uns eingehend mit der Systematik der NS Erziehung auseinandergesetzt und anhand verschiedener Materialien deren Erziehungsziele, -methoden und identitätsdestabilisierende Wirkweise beleuchtet. Kein einfaches Thema, vor allem vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegsgeschehens. Und doch auch ein Weg, Adornos Postulat einer Erziehung nach Auschwitz Folge zu leisten, aufzuklären, zu sensibilisieren und wachzurütteln.
Der erneute Zeitzeugenbesuch von Frau Irene Seiwert (95) im vergangenen April vermochte es in diesem Kontext, für uns Geschichte erlebbar und lebendig zu machen und uns einen nachhaltigen Eindruck einer Jugend in Zeiten des NS bzw. in Kriegszeiten zu vermitteln. Wir haben darüber auf der Homepage berichtet.
Als Abrundung unseres HBG Studiert Projekts war es uns zudem wichtig, auch einen kritischen Blick auf die Rolle Kölns zur Zeit des NS zu werfen und uns daher näher mit der Funktion des EL-DE Hauses auseinanderzusetzen, denn schließlich wurden dort auch Kinder und Jugendliche inhaftiert. Der Besuch dieser Gedenkstätte im Zentrum Kölns hat uns die Systematik und Perfidie der Erfassung von sog. Regimegegnern der damaligen Zeit, aber zugleich auch die Willkür und Irrationalität des NS Regimes vor Augen geführt und anhand von Einzelschicksalen dessen ungeheuerlich destruktive Wirkmacht dokumentiert.
Was bleibt ist die Feststellung Adornos, dass man durch Erziehung gegen faschistoide Tendenzen zumindest „ein weniges“ wird ausrichten können. Unser Projekt möchte hierzu seinen Beitrag leisten. (Anny Papaphilippu)
Besuch des EL-DE Hauses im Rahmen unseres HBG Studiert – Projektes zur kritischen Reflexion der Erziehung im Nationalsozialismus
(Ein Bericht von Mathieu Das)
Die Schülerinnen und Schüler der Klassen 8, 9 und 10 des HBG Studiert –Projektkurses zur kritischen Reflexion der Erziehung zur Zeit des Nationalsozialismus von Frau Papaphilippu trafen sich am 2.Juni 2022 zum Besuch des EL-DE Hauses in Köln.
Wir fuhren zunächst mit der S – Bahn bis zum Hauptbahnhof. Auf der Fahrt lernten wir, die wir ja alle aus verschiedenen Klassen stammen, uns alle ein wenig besser kennen und erzählten uns viel über unsere Interessen. Am Bahnhof ausgestiegen unternahmen wir noch einen kurzen Abstecher in den Dom.
Gegen 13.00 Uhr kamen wir schließlich mit Spannung und Motivation am EL-DE Haus in unmittelbarer Nähe zum Appellhofplatz an. Vor unserem Besuch hatten wir uns natürlich fachlich über längere Zeit hinweg auf die Thematik vorbereitet, beispielsweise durch das Studium verschiedener Materialien (Sachtexte; Zeitzeugenberichte, Dokumentationen, ein Schülerreferat…) sowie auch in Diskussionen die wesentlichen Inhalte bezüglich der Funktion des EL-DE Hauses und seiner Geschichte reflektiert.
Am Eingang erwartete uns schon unsere zusätzliche Begleitung, der pensionierte Latein-und Geschichtslehrer Herr Kohls-Bremer, der extra als fachkundige Unterstützung für uns dazugekommen war.
Kurz darauf erschien unser Guide, der uns durch das EL-DE Haus führen sollte, und mit einem hohen Maß an Respekt betraten wir das ehemalige Gestapo – Hauptquartier in Köln, zugleich historisches Museum und vor allem Mahnmal und Gedenkstätte.
Im Keller des EL-DE Hauses betrachteten wir die Gefängniszellen mit den zahlreichen Graffiti der damaligen Gefangenen an den Wänden, die – in verschiedenen Sprachen verfasst – von dem Leid, der Verzweiflung und nicht zuletzt der Todesangst der Insassen zeugen und uns sehr berührten. Die Lebensgeschichten einzelner Gefangener wurden thematisiert, wie beispielsweise die von Marinette, einer Gefangenen, die während ihrer Inhaftierung im EL-DE Haus zur Geburt ihrer Tochter kurzzeitig ausgelagert wurde, dann aber ohne ihr Kind in das Gefängnis zurückkehren musste und ihrer Verzweiflung über die Ungewissheit ihres Schicksals und die Trennung von ihrer Tochter in einer bewegenden Inschrift Ausdruck verlieh. Später kam Marinette frei und immigrierte nach Frankreich, wo sie ihre Tochter aufzog, jedoch ihr gegenüber nie die Zeit der Gefangenschaft in Köln erwähnte. Erst durch eine TV – Dokumentation, in der Marinettes Inschrift zitiert wurde, erfuhr ihre Tochter viele Jahre später von dem Schicksal ihrer Mutter – dies nur eine bewegende Geschichte, denn es gibt derer so viele, die untrennbar mit der Historie des EL-DE Hauses verknüpft sind.
Später betraten wir den Innenhof des Hauses, der als Exekutionsort gedient hatte, während ringsherum in den angrenzenden Häusern der Alltag seinen gewohnten Gang nahm – ein beklemmendes, ja grausames Szenario, das wir uns nur schwerlich vorstellen konnten und welches erneut den Schrecken der NS Zeit dokumentiert.
In den oberen Etagen des EL-DE Hauses erfuhren wir von der Systematik der Denunziation und der daraus resultierenden Verfolgung von Menschen, die entweder nicht mit dem NS Regime sympathisierten bzw. dem NS Typus nicht entsprachen, erfuhren von der Behördenwillkür, Verhören und „Sonderbehandlung“, um letztlich auch für die euphemistische Sprache des Nationalsozialismus sensibilisiert zu werden.
Erschreckend wirkten auf uns besonders die zahlreichen Tafeln und Fotografien, die die damals praktizierte Rassenkunde dokumentieren und beispielsweise Sinti und Roma zeigen, in detailliertester Form jedes einzelne körperliche Merkmal dieser Menschen aufführen, um so zu belegen, dass sie nicht der sogenannten „Herrenrasse“ angehörten. Eine bürokratische Erfassung von Individuen, die entmenschlicht, entwürdigt, vollkommen pervertiert .
So bleiben wir sensibilisiert, aber auch verstört zurück, erhalten aber ein tieferes Gefühl für die Funktionalisierung und Entindividualisierung der Opfer zur Zeit des NS und erkennen vor allem, dass das Grauen auch hier in Köln präsent war, mitten im Stadtbild, hinter gediegener Fassade.
Umso wichtiger, dass wir durch den Besuch im EL-DE Haus erneut gelernt haben, hinter eben diese Fassade zu blicken, kritisch, wach und aufmerksam zu sein und- wie uns Adorno lehrt – den „Mut zum Nicht-Mitmachen“ zu entwickeln.